Eliot Pattison

Der Berg der toten Tibeter

Autorisierte Hörfassung
gelesen von Wolfgang Rüter
507 Minuten
steinbach sprechende bücher
6-CD-Box; ISBN 978-3-88698-026-0; 29,95 Euro

Inhalt:
Shan, der Ermittler, wird in ein abgelegenes Bergdorf gerufen. Hier soll sich eine Tragödie abgespielt haben. Ein Fremder, der so schwer verletzt ist, daß er im Koma liegt, hat angeblich zwei Tibeter getötet. Doch Shan stößt auf Ungereimtheiten: Die Leichen wurden bereits abtransportiert, in der Nähe befindet sich eine illegale Goldmine, und ein seltsamer Deutscher hat in einem verlassenem Turm sein Lager aufgeschlagen. Als der Fremde aus dem Koma erwacht, wollen die Dorfbewohner ihn gleich töten, doch Shan erwirkt einen Aufschub - und erlebt die größte Überraschung seines Lebens: Der Fremde ist gar kein Tibeter, sondern ein Navajo-Indianer aus den USA.


Kritik:

Beunruhigendes geschieht in einem kleinen tibetischen Bergdorf, und man schickt nach dem chinesischen Ermittler Shan, der nicht nur auf einen Mord sowie viele Ungereimtheiten und dunkle Geheimnisse der Bewohner stößt, sondern auch auf Steine, die man ihm im Laufe seiner Ermittlungen zahlreich in den Weg wirft... Ist der mysteriöse Fremde, der seit Tagen im Koma liegt, wirklich ein Mörder? Woher stammt er? Und warum wurden die Leichen der Mordopfer so schnell auf die Seite geschafft? Steht die illegale Goldmine, die Shan in der Nähe entdeckt, mit den Vorkommnissen im Zusammenhang? Oder die Anwesenheit einiger Wissenschaftler auf der anderen Seite des Berges? Shan beißt sich fest und entdeckt Ungeheuerliches. Doch die Zeit läuft ihm davon, und ein plötzlich ausbrechendes Feuer bedroht das Dorf und damit auch die Aufklärung der Verbrechen, die sich nun nicht mehr nur auf Mord beschränken...

Eliot Pattison hat mit "Der Berg der toten Tibeter" bereits seinen fünften Roman um den chinesischen Ermittler Shan geschrieben (bisherige Titel: "Der fremde Tibeter", "Das Auge von Tibet", "Das tibetische Orakel" und "Der verlorene Sohn von Tibet"; beim DAV ist "Der fremde Tibeter" als Hörbuch erschienen, ansonsten liegen noch keine weiteren deutschen Hörbücher vor).

Wer die Anfänge der Figur des Chinesen Shan nicht kennt, braucht ein wenig Zeit, um in das Universum Pattisons einzutauchen: Man erfährt nach und nach die Umstände, unter denen Shan und seine beiden Freunde Lokesh und der Lama Gendun in Tibet leben. Sie sind Bewohner eines illegalen buddhistischen Klosters und waren viele Jahre gemeinsam in einem Arbeitslager inhaftiert. Shan war zuvor Regierungsbeamter in Peking, bis er aufgrund - angeblicher - konterrevolutionärer Aktivitäten zum Staatsfeind wurde und schließlich nach Tibet gelangte.

Die Shan-Krimis zeichnen sich durch gute, vielschichtige Plots aus - und durch ihre sozialkritischen Elemente, die auch in "Der Berg der toten Tibeter" eine große Rolle spielen. Grundkenntnisse über die chinesische Besetzung Tibets und die chinesische Kulturrevolution erleichtern das Verständnis ungemein, und die harsche Kritik an der chinesischen Tibet-Politik wird immer wieder thematisiert und zur Sprache gebracht. Brutalität und Verachtung der Chinesen gegenüber den tibetischen Ureinwohnern ziehen sich durch die Geschichte, genau wie die merkwürdigen mythologischen Elemente der uns völlig fremden Tibet-Kultur. Doch auch die kriminalistische Handlung kommt nicht zu kurz.

Neben der Spur aus gewaltsamen Todesfällen und rätselhaften Zeremonien, die Shan beharrlich verfolgt, wird auch sehr viel Wert auf Detailreichtum in den allerkleinsten Dingen gelegt: alte Riten und Kulturen werden angerissen, mythische Elemente, die Wertigkeit der Dorfernte wird erläutert, die Stellung der einzelnen Menschen in der Gemeinschaft - bis hin zu den Gebeten der buddhistischen Mönche. Einzige Schwachstelle: Die Personen bleiben zu blass und vermitteln einen Eindruck von fast klinischer Ruhe, der sich mir nicht immer erschließt. Oder sind die Bewohner Tibets tatsächlich so stoisch und unbeteiligt?

Fakt ist, das das Hören äußerste Konzentration verlangt, um nicht eines der kleinen - anfangs unwichtig erscheinenden - Details zu versäumen, aus denen sich später die Aufklärung des komplexen Geschehens zusammensetzt.

Sprecher Wolfgang Rüter trägt seinen Teil dazu bei, dass man sich gut auf die vielen Ereignisse konzentrieren kann: klar, bedächtig, eindringlich und nicht zu schnell ist sein Vortrag, ganz im Sinne Eliot Pattisons, der seine Figuren eher wortkarg und emotionslos ausgestattet hat und so auf eine seltsam eindringliche Art die Menschen "vom Dach der Welt" seinem staunenden westlichen Publikum in kleinen bedächtigen Schritten näher bringt.

Das dem Hörbuch beiliegende Booklet sollte man sich genauer anschauen: Hier erfährt der Hörer einige wichtige Details die Hauptpersonen betreffend, und es werden Begriffe aus der tibetischen Sprache erläutert, die im Buch von Bedeutung sind.


Fazit:

Anspruchsvolle Krimikost mit Gesellschaftskritik: Wer sich für Tibet und China interessiert und auf der Suche nach neuen Eindrücken ist, kann bedenkenlos ein Ohr riskieren. Nicht immer einfach zu hören, manchmal sehr fremd und befremdlich, aber unbedingt hörenswert.

Infos und Hörproben: http://www.sprechendebuecher.de